jüdische Literatur

jüdische Literatur
jüdische Literatur,
 
1) von Juden in einer »jüdischen« Sprache geschriebene Literatur (v. a. die hebräische Literatur, die jiddische Literatur und die Literatur in Ladino); 2) von Juden über speziell jüdische Themen verfasste Literatur, unabhängig von einer bestimmten Sprache (jüdischer Herkunft allein kann nicht als Begründung für die Zuweisung eines Autors zur jüdischen Literatur angesehen werden).
 
Der Literaturbegriff wird im Allgemeinen sehr weit gefasst: Er umschließt außer der Belletristik v. a. das religiöse Schrifttum, Werke der (Religions-)Philosophie, der Geschichtsschreibung, juridische Texte, aber auch z. B. die ebenfalls im Zusammenhang mit dem jüdischen Religionsgesetz stehenden medizinischen, natur- und sprachwissenschaftlichen Schriften v. a. mittelalterliche jüdische Autoren und (im weiteren Sinn) die für die kulturelle Mittlerfunktion des Judentums charakteristischen Werke der Übersetzungsliteratur vom Mittelalter bis in die Gegenwart als bedeutende Dokumente der allgemeinen Geistes- und Kulturgeschichte.
 
Die Definition eines jüdischen Autoren unterschiedlicher sprachlicher Herkunft und verschiedener Nationalität gemeinsamen Elements gilt - besonders im Hinblick auf die moderne (belletristische) Literatur seit der Aufklärung - in der inner- wie in der außerjüd. Diskussion als problematisch, da die Religion für das Judentum von diesem Zeitpunkt an nicht mehr dieselbe konstitutive Rolle spielte wie vor der Säkularisation. Die Bedeutung jüdischer Motive ist bei einzelnen Schriftstellern sehr unterschiedlich: Während sie für das Werk einiger als grundlegend gelten (z. B. für M. Brod, A. Zweig, L. Feuchtwanger, Nelly Sachs, Else Lasker-Schüler), sind sie bei anderen Autoren weniger dominant (A. Schnitzler, S. Zweig), werden im religiösen Grenzgebiet artikuliert (F. Werfel, J. Roth), sind in sehr verschlüsselter Form dargestellt oder fehlen - zumindest als offen thematisierte Bezugspunkte - völlig (F. Kafka, P. Celan).
 
Die Auseinandersetzung mit dem Judentum schlägt sich häufig (etwa bei Kafka) in Briefen und Tagebüchern nieder und eröffnet erst von daher entsprechende Interpretationszugänge zum eigentlichen schriftstellerischen Werk. Unterschiedlich und vielschichtig sind Selbstverständnis und Haltung jüdischer Autoren auch im Hinblick auf die jüdische Tradition: sie reichen vom offenen Bekenntnis zu ihr (Brod) bis zur Absage an das Judentum im Bewusstsein der Unmöglichkeit eines solchen Schritts (H. Heine), von (scheinbarer) Indifferenz (K. Tucholsky) bis zur Polemik gegen Juden und Judentum (K. Kraus); auch hier sind die Grenzen häufig fließend.
 
Jenseits solcher Unterschiede wird die besondere historische, soziokulturelle und psychologische Situation der Juden in einer nichtjüd. Gesellschaft als prägendes Moment der jüdischen Literatur angesehen. Diese ist demnach durch die spezielle Perspektive charakterisiert, die aufgrund der gesellschaftlichen Außenseiterposition ihrer Repräsentanten eröffnet wird, auch - und zum Teil gerade - vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Assimilationsprozesse. Die bewusste Distanz und Spannung zur Umwelt erscheint in der Literatur als Reflexion von Wurzellosigkeit, Einsamkeit und Entfremdung, Angst und Leiderfahrung; zentral ist jedoch die Frage nach der eigenen Identität, die sich als Ichsuche oder Ichflucht - häufig in beiden Formen zugleich - artikulieren kann. Besonders im Werk Kafkas wird die gesellschaftliche Situation eines jüdischen Außenseiters zur universalen Parabel der existenziellen Situation des Menschen schlechthin.
 
 
Jewish literature, in: Encyclopaedia Judaica, Bd. 11 (Jerusalem 21973);
 J. Z. Knopp: The trial of Judaism in contemporary Jewish writing (Urbana, Ill., 1975);
 Hans Mayer: Außenseiter (Neuausg. 1977);
 G. Stemberger: Gesch. der j. L. (1977);
 L. I. Yudkin: Jewish writing and identity in the twentieth century (London 1982);
 A. Silbermann: Was ist jüd. Geist? (Zürich 1984);
 
Juden u. Judentum in der Lit., hg. v. H. A. Strauss u. a. (1985);
 
Im Zeichen Hiobs. Jüd. Schriftsteller u. dt. Lit. im 20. Jh., hg. v. G. E. Grimm (u. a. 21986);
 G. Shaked: Die Macht der Identität. Essays über jüd. Schriftsteller (a. d. Engl., 1986);
 M. Reich-Ranicki: Über Ruhestörer (Neuausg. 1989);
 V. Dahm: Das jüd. Buch im Dritten Reich (21993).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Pijjut: Blütezeit der liturgischen Poesie
 

Universal-Lexikon. 2012.

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